SCHIBIG BILDHAUER   CH-6422 Steinen Switzerland

HOLZSCHNITZER, HOLZBILDHAUER, VERGOLDER, RESTAURATOR

WOOD-CARVING, SCULPTURE IN WOOD, GILDING, RESTORATION

sculptor-Rundschreiben 7

01.07.07  Nach wie vor kannst du Dich selber oder Freunde als Gratis-Abonnenten anmelden (oder abmelden): sende Deine E-Mail-Adresse an schibig@sculptor.ch .

 

Viel Vergnügen wünscht

Bildhauer Josef Schibig

Eröffnungsausstellung Schloss Wallhausen

26.5. - 30.9.2007

Skulpturengarten Meinrad Betschart

 

Orientiere Dich auf: www.schlosswallhausen.de

Episoden aus dem Schnitzlerleben

 

Geld war im Nachkriegs-Italien nicht viel im Umlauf, statt dessen massenhaft Wechsel. Vielleicht muss ich anfangs des dritten Jahrtausends doch schnell erläutern, was das ist oder war: Der Wechsel ist ein nach strengen Regeln erstelltes Schriftstück womit sich jemand verpflichtet, einen genau angegebenen Betrag auf einen genau bestimmten Zeitpunkt selber zu bezahlen oder zu veranlassen, dass die Summe von jemand anderem beglichen wird, gegen Rückgabe des Wechsels. Wenn also jemand bei Minottis eine grössere Anschaffung macht und im Moment kein Bargeld hat, stellt er einen Wechsel aus und gibt ihm diesen an Zahlungsstatt. Falls Minotti selber Geldmangel hat, kann er den Wechsel seinerseits weitergeben, ähnlich wie eine Banknote. Die Ware wird geliefert, und am vereinbarten Tag sollte der Schuldner mit dem Bargeld bei Minotti oder dem momentanen Besitzer des Wechsels aufkreuzen. Im Idealfall klappt das, und der Handel ist abgeschlossen, der Wechsel wird vernichtet. In der Schweiz war das Wechselrecht sehr streng: konnte eine Firma am festgesetzten Termin nicht vollumfänglich bezahlen, war sie ohne weiteres Brimborium sofort im Konkurs. Diese strenge Regelung sorgte natürlich dafür, dass ein Wechsel ein sehr vertrauenswürdiges Papier war. Ob das in Italien in der Theorie genau so streng gewesen wäre, kann ich nicht sagen: in der Praxis verhielt es sich jedoch so, dass Luigi Minotti sich sehr oft am Sonntag Morgen aufs Fahrrad schwang (gleichzeitig mit ihm vermutlich Tausende und aber Tausende von kleinen Unternehmern in ganz Italien . . .) und seinen Wechselschuldnern in den Nachbardörfern nachstieg, ob sie nicht vielleicht gnädigst wenigstens einen Teilbetrag hinblättern könnten und würden.

Bei uns kam es doch tatsächlich eines Sonntags vor, dass der Chef zum Geldeintreiben radelte und vorher zur Lina bemerkte, er bringe dann Koteletten heim, falls . . . Etwa um zwölf Uhr sah dann der Osvaldo den Papà Minotti zufällig schon von weitem auf der Via Libertà anpedalen: o Freude, auf dem Gepäckträger ein mit Zeitung umhülltes Paket! Es kam aber auch vor, dass er ohne Fleisch anrückte, und die Lina brummte. War aber kein gravierendes  Problem: Luigi stieg in den Estrich, gab den Köpfen von mehreren Tauben  mittels entschiedener Drehung eine andere Ausrichtung, und bald schon duftete es wunderfein aus der Küche von Mama Lina. Alles wurde auf dem Holzherd gekocht, das grosse Erdgasvorkommen der Valle Padana wurde erst ein paar Jahre später entdeckt. Der Herd in der Küche war auch die einzige Heizung im Haus.

Aber wir haben ja nicht nur geschlafen, gegessen und diskutiert. Das Zentrum unseres Universums war tatsächlich die Schnitzwerkstatt! Im bescheidenen Raum mit Fenstern auf zwei Seiten standen etwa sechs Schnitzbänke, ziemlich eng. Es gab weder irgendwelche Maschinen noch einen Holzvorrat, weder Büro noch Zeichentisch. Die Aufträge kamen fast ausschliesslich von den in der Gegend zahlreich vertretenen Schreinereien und Möbelfabriken. Wir waren vermutlich in Sachen Schnitzerei die beste Werkstatt im weiten Umkreis. Unter anderem arbeiteten bei uns Vater und Sohn Zanon, aus dem Veneto gebürtig: der Vater ein feiner Signore, der daheim in seiner ärmlichen Wohnung aus dem Handgelenk ganz wunderbare Stilmöbel zeichnete, für sämtliche guten Betriebe: das brachte uns viel Schnitzarbeit. Zum Beispiel war er bekannt für sehr raffinierte Entwürfe samt Werkzeichnung für ganz reich

geschwungene und beschnitzte Fauteuils, à la Brustolon, Lehnstühle usw. Dabei lieferte er auch gleich die millimeter-genauen Schablonen für sämtliche kompliziert geschweiften Teile mit: der Schreiner konnte sie nur noch aufs Holz pausen und aussägen, alles stimmte passgenau ohne langes Probieren! Es kam auch vor, dass uns ein Schreiner einen Schranksockel aus Nussbaum brachte, mit irgendwelchen Kurven ausgesägt die er gerade noch vom vorvorletzten Auftrag her im Kopf hatte und erwartete, wir würden ihm - ohne irgendwelche Zeichnung - alles in reichem

italienischem Barock schnitzen. War kein Problem!

Schon bald nach Beginn meines Aufenthaltes bei Minotti spielte es sich ein, dass Osvaldo, der ältere und künstlerisch hoch begabte Sohn, die wichtigeren Arbeiten „anhaute und anlegte“ und sie vorzugsweise mir zum „Sauberschneiden“ gab. Nur für die nicht in der Bildhauerei Tätigen: Anhauen bedeutet, die Formen grob aus dem Holzblock herausholen, beim Anlegen werden diese schon deutlich und unmissverständlich festgelegt, und beim Sauberschneiden wird alles bis ins letzte Detail fein und sauber geschnitzt.

Wir schnitzten hauptsächlich in Nussbaum, etwas weniger in Linde (zum Fassen: der Fassmaler und Vergolder war gleich im nächsten Haus); hier lernte ich auch das zum Schnitzen sehr angenehme Kastanienholz schätzen. Aus Kastanie wurden Möbel und Interieurs in einer Art italienischem Heimatstil gestaltet, mit reichen Schnitzereien, die im Vergleich zu den sonst obligaten Stilformen recht modern wirkten. Extrem armes Land, vom Krieg ausgelaugt - reich geschnitzte Möbel in jeder Stube, wie geht das zusammen? Es ging! Materielle Armut generiert anscheinend Reichtum an Erfindungsgabe und Phantasie. Die Gegenprobe ist ja heute offensichtlich: allgemein verbreiteter Reichtum, verbunden mit absoluter Ödnis im Möbelbau, und nicht nur dort . . .

Mit dem obigen Bild einer durchbrochenen Füllung aus Nussbaum, Breite etwa 60 cm, stelle ich meine schöne Theorie allerdings gleich wieder in Frage. Vier Stück davon habe ich in Meda selbständig schnitzen können. Hier bestand nämlich die Kundschaft nicht aus armen Italienern, sondern aus extrem reichen Ägyptern. Die arabische Welt gehorcht vielleicht anderen Gesetzen? Damals jedenfalls gehörte es bei den Scheichs und Königen des Nahen Ostens und Nordafrikas zum guten Ton, unerhört reich geschnitzte Möbel in der Brianza einzukaufen. Bei dieser Arbeit, die mich mehrere Wochen beschäftigte, habe ich übrigens die einzige etwas herbere Kritik meiner zwei Jahre Italien vom guten Meister Luigi einstecken müssen, zu Recht: an einer Stelle war mir der seilartige Wund auf dem sternartigen Profil unversehens um etwa zwei Millimeter neben die Mitte des Profils geraten. Das konnte nicht mehr vertuscht werden. Zum Glück hat das jedoch weder der Möbelschreiner noch der vornehme Kunde bemerkt.

Neben den oftmals figürlichen Reliefs auf den vorhin erwähnten Kastanienholz-Möbeln schnitzten wir auch kleine (Heilige) und grosse vollrunde Statuen, wie diese vier lebensgrossen Engel für einen Leichenwagen.

In der Freizeit, aus heutiger Sicht eher spärlich, was taten da Antonio und Osvaldo (Minotti‘s Söhne) samt Volontär Giuseppe? Natürlich schnitzen! Diesmal aber mehr hopphopp, zum etwas Geld verdienen. In einer grossen Möbelfabrik konnten wir „Gambit de Seregn“ abholen: grosse Jutesäcke voll mit Möbelfüssen aus Buche, maschinell vorgefräst in der Form von Louis-Toujours-Schrankfüssen. An diesen schnitzten wir zwei einfache Schnecken mit Begleitprofil bis oben, manchmal auch noch ein rudimentäres Akanthusblättchen, je nach Auftrag. Die Füsse wurden nicht einmal gezählt, sondern sackweise pauschal abgerechnet. Dank dem Geschwindigkeits-Wettbewerb zwischen uns Dreien brachten wir es fertig, einen Fuss in 15 bis 17 Minuten fixfertig zu

schnitzen, was uns einen recht erklecklichen Nebenverdienst brachte, plus viel Gelächter plus einige Fertigkeit im Schnellschnitzen! Das machten wir hauptsächlich in jener Zeit, wo in der Kunstschule in Mailand Ferien waren, meist auch noch am Sonntag-Morgen ein Stündlein oder zwei.

 

Noch nicht genug der Grossprecherei? Dann erwähne ich hier eben diese Kunstschule:

Wir besuchten die „Scuola Superiore d‘Arte applicata, annessa al Castello Sforzesco Milano“ (eine Unterabteilung der Brera). Es ging um das Modellieren in Ton. Nach einer recht anspruchsvollen Eintrittsprüfung wurde man in die entsprechende Klasse eingeteilt. Obwohl Osvaldo schon mehrere Semester dort gearbeitet hatte, konnten Antonio und ich die Kurse mit ihm zusammen besuchen. Osvaldo war ein As - er wurde später Professor an einer Kunstschule; Antonio‘s Fähigkeiten lagen eher in Richtung Handwerk und Geschäftsführung, und ich selber als kleines Würstchen machte manches Manko mit Fleiss und Einsatz wett. Der Unterricht fand an fünf Abenden pro Woche statt. Um halb sechs machten wir also in der Schnitzbude Feierabend, kriegten in der Küche ein schnelles Nachtessen, dann nichts wie los zum eine Viertelstunde entfernten Bahnhof der Ferrovia Nord Milano, damals eine recht moderne Vorortsbahn, 22 km und 23 Haltestellen bis zur Stazione Nord Milano. Von dort hatten wir noch ca. 20 Minuten zu Fuss bis zur Schule. Wegen Kriegsschäden war diese nicht im Castello selber, sondern in einem alten umfunktionierten Kirchenschiff. Übrigens ganz in der Nähe des damals einzigen Hochhauses in Mailand, des Centro Svizzero.

Von Acht bis kurz vor Zehn modellierten wir also verhältnismässig selbständig; der Professore gab uns nur jeweils einige Modelle zu Auswahl, meist Gipsmodelle von bekannten antiken Werken. Je nach Ausbildungsstand durfte man diese nach Absprache auch künstlerisch abändern, verfremden. Beim Arbeiten griff er nur ein, wenn gröbere Fehler vorkamen. Er gab auch nur spärlich Kommentare zu unserer Arbeit ab. Man merkte aber doch, wie weit er zufrieden war oder nicht: wenn man seine Arbeit, vielleicht nach mehreren Wochen, als fertig meldete, bemerkte er bei Zufriedenheit aus dem Mundwinkel: „so dann pack das wieder ein, am Tag soundso kommt dann der Photograph.“ Wenn‘s ganz hoch ging, wurde das Stück nachher sogar vom Arbeiter der Schule abgegossen und dann der Sammlung einverleibt. Das Kirchengewölbe war

darum auch bis hoch hinauf behängt mit Schülerarbeiten und Modellen.

Eines Tages in dieser Zeit war in Norditalien ein recht spürbares und erschreckendes Erdbeben, etwa um elf Uhr und dann nochmals um zwei Uhr nachts. Wir flüchteten wie viele andere Leute auf die Strasse, von den Häusern weg. Zum Glück blieb es aber beim Schütteln, grosse Schäden bemerkten wir nicht. Doch als wir am nächsten Abend wieder in unseren Kirchen-Modelliersaal kamen lag viel gipserne Kunst zerschellt am Boden.

Die Technik des Modellierens wurde als bekannt vorausgesetzt. Grosse Bretter waren vorhanden, Nägel und Draht zum Konstruieren des Drahtverhaues ebenso; Modellierhölzer hatte man selber zu bringen. Wenn dann ein Neuling versuchte, seine Tonklumpen ungeschickt zwischen die Nägel zu drücken, erntete er ein müdes Lächeln: die Könner schleudern die faustgrossen Batzen natürlich mit Schwung aus einem Meter Abstand auf das Brett. Nach Arbeitsende packte man die Arbeiten mit nassen Lumpen ein (Plastikfolien waren noch nicht auf dem Markt). Dann zurück auf den Bahnhof, zurück nach Meda, in die Küche zu einem zweiten schnellen Nachtimbiss - eine richtige Minestra schmeckt nach dem dritten Aufwärmen noch viel besser!

Im Hof hinter dem „Bersagliere“ gab es natürlich eine Bocciabahn; wenn gerade schönes Wetter war und ein paar unserer Kommunistenfreunde in Spiellaune, konnte es gut sein, dass die Nachtruhe erst etwa um ein bis zwei Uhr eintrat. Und dann am Morgen wieder arbeiten ab Sieben. Das Wort „Stress“ war damals vermutlich noch gar nicht erfunden?

Hier oben ist eine Arbeit aus der Kunstschule: der Professor gab mir einen Abguss des Gesichts der „Heiligen Teresa in Verzückung“ von Bernini (in Sta. Maria della Vittoria in Rom) und regte an, diesen Abguss auf einem Kissen liegend darzustellen. Für das Kissen hatte ich kein Modell zur Hand. Das Ganze ist ca. 70 cm breit. Wie man sieht, wurde der Versuch als photographie- und abgusswürdig befunden . . .

 

(Beim Malkurs, den ich momentan mit Frauen aus Steinen durchführe - der Link dazu ist auf der Startseite -  habe ich übrigens ein Bild gemalt mit einem Spruch dieser Heiligen Teresa von Avila  -  1515 - 1582: Nada te turbe, nada te espante; todo se pasa: DIOS no se muda, la patiencia todo lo alcanza. Quien a DIOS tiene, nada le falta. Solo DIOS basta.)

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